Pressekonferenz
08. Juni 2004

Prof. Dr. Dieter B. Herrmann,
Direktor der Archenhold-Sternwarte und des Zeiss-Großplanetariums Berlin

Einstein und die Popularisierung der Wissenschaften


Meine Damen und Herren,

in diesem Saal hielt Albert Einstein fast genau auf den Tag heute vor 89 Jahren seinen ersten öffentlichen Berliner Vortrag über die damals noch nicht veröffentlichte Allgemeine Relativitätstheorie.

Zweifellos war das frühe Datum dieses Vortrags - Einstein war gerade erst 1914 nach Berlin umgezogen - dem umtriebigen Direktor und Begründer unserer Sternwarte, F. S. Archenhold (1861-1939) zu verdanken. Die Tatsache jedoch, dass Einstein überhaupt vor einem Publikum von Nichtfachleuten zu seiner Theorie das Wort ergriff, hat tiefere Wurzeln.

Einstein hatte selbst in seiner Jugend mit großem Gewinn populärwissenschaftliche Artikel und Bücher gelesen und war dadurch - nach seinem eigenen Bekenntnis - zu einem geradezu fanatischen Freigeist geworden, der aus seiner Lektüre den Eindruck gewann, "daß die Jugend vom Staat mit Vorbedacht belogen" wird. Insbesondere kam er zu der Überzeugung, "daß vieles in den Erzählungen der Bibel nicht wahr sein konnte".

Aus diesen frühen eigenen Lese-Erlebnissen entwickelte sich bei Einstein eine hohe Wertschätzung für die naturwissenschaftliche Bildung breitester Volksschichten, zu der er selbst immer wieder beitrug, bei der er aber auch andere nachdrücklich unterstützte.

Einsteins Berliner Vortrag blieb nicht die einzige öffentliche Äußerung des Gelehrten zu seinen Forschungen. Auch in Prag und in Wien sprach er zu tausenden Zuhörern und von seinen Berliner Auftritten ist besonders der durch Anna Seghers vermittelte Vortrag erwähnenswert "Was der Arbeiter von der Relativitätstheorie wissen muss", den er 1925 vor der "Marxistischen Arbeiterschule" hielt.

Auch als Autor von Zeitungsbeiträgen finden wir Einsteins Namen sowohl in der "Frankfurter Zeitung" wie auch in der "Vossischen" und später in der "New York Times".

Hinter all diesen Aktivitäten verbarg sich eine Art bildungspolitisches Konzept, das man leider auch heute noch als hochaktuell bezeichnen muss. Der Schule schrieb er die Aufgabe zu, "den jungen Menschen als harmonische Persönlichkeit und nicht als Spezialisten zu entlassen ... Die Entwicklung der allgemeinen Fähigkeiten zu selbständigem Denken und Urteilen sollte stets an erster Stelle stehen und nicht die Aneignung von Spezialkenntnissen".

Im Vorwort zu einem Buch des amerikanischen Autors Lincoln Barnett erklärte Einstein: "Die Beschränkung der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf eine kleine Gruppe von Menschen schwächt den philosophischen Geist eines Volkes und führt zu dessen geistiger Verarmung".

Die Erkenntnis des Notwendigen war also schon lange vorhanden, bevor die elektronischen Medien unserer Zeit die bahnbrechende Entdeckung machten, dass man Wissenschaft am Besten von Comediens erklären lassen sollte, die selbst keine Gelegenheit auslassen, um zu versichern, dass sie von Wissenschaft noch nie etwas verstanden hätten.

Vielleicht kann das kommende Einstein-Jahr dazu beitragen, auf diesem Gebiet ein Umdenken herbeizuführen. Bliebe es bei wirkungslosen äußeren Ehrungen, würden wir Einstein mit Sicherheit falsch verstanden haben. Schon zu Lebzeiten hat er es nämlich abgelehnt, überall nur als "symbolischer Leithammel mit Heiligenschein" zu figurieren.

 

Literaturhinweis:
Dieter B. Herrmann, Einstein, Archenhold und die Popularisierung der Naturwissenschaften, In: D. B. Herrmann, Astronomiegeschichte. Ausgewählte Beiträge zur Entwicklung der Himmelskunde. Berlin 2004, S. 327-333